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Emmerich Kálmán (1882 - 1953)

Emmerich Kálmán wurde als Imre Koppstein am 24. Oktober 1882 in Siófok am Balaton (Plattensee) geboren. Als der Zigeunerbaron von Johann Strauss 1885 seine Premiere feierte, war Kálmán also gerade einmal drei Jahre alt. Sein Vater, der jüdische Getreidehändler Karl Koppstein, schickte den jungen Imre bereits als 10-jährigen nach Budapest ans Gymnasium. Er zeigte früh musikalische Begabung und wollte, inspiriert von seiner musikalischen Schwester, Pianist werden. Diese Hoffnung wurde aber durch eine Nervenerkrankung der Arme zunichte gemacht. Noch als Gymnasiast
schrieb er sich an der berühmten Budapester Musikakademie ein, wo er Komposition und Musiktheorie zusammen mit Bela Bartók und Zoltán Kodály studierte. Seine Eltern bestanden allerdings auf einem Jurastudium, welches er nur widerwillig absolvierte und kurz vor dem Doktorat abbrach. Stattdessen bestritt er seinen Lebensunterhalt vorerst als Musikkritiker und komponierte «seriöse» klassische Musik, u.a. ein Scherzando für Streichorchester und die  Symphonische Dichtung SATURNALIA. Er unternahm Anstrengungen, Verleger für seine Kompositionen zu finden, scheiterte aber. Frustriert soll er gesagt haben: «Wenn es so weiter geht, schreibe ich noch eine Operette!»

Und so sollte es kommen. Erste Publikumserfolge als Komponist hatte er mit Couplets und Kabarettliedern, sein erster
grosser Operettenerfolg war TATÁRJÁRÁS (Herbstmanöver) im Jahr 1908, woraufhin er nach Wien übersiedelte, ins Zentrum der Operette, um seine Komponistenkarriere voranzutreiben. 1912 folgte ein nächster Erfolg mit DER ZIGEUNERPRIMAS. Seine beiden weltbekannten Werke DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN und GRÄFIN MARIZA schrieb er 1915 bzw. 1924. Mitte der 1920er Jahre war die Zukunft der Operette zunehmend in Frage gestellt, moderne Tanzmusik, Revuen und musikalische Einflüsse aus Amerika wetteiferten um die Gunst des Publikums. Sogar die seriöse Gattung der Oper
setzte sich erfolgreich mit dem Einfluss amerikanischer Jazz-Musik auseinander. Ernst Krenek’s JONNY SPIELT AUF hatte 1927 Premiere und wurde zu einem internationalen Sensationserfolg. Kálmán, zusammen mit seinen Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald, sah im Stoff der HERZOGIN VON CHICAGO eine Möglichkeit, sich in neuen Stilen auszuprobieren, musikalisch «upto-date» zu sein und gleichzeitig seinen traditionellen Operettenstil zu verteidigen, indem er den musikalischen Konflikt selbst zum Thema des Stücks macht.

Die Welten der zwei Hauptpersonen Miss Mary Lloyd aus Amerika (Charleston, Foxtrott und Blues unterstützt vom modernem Saxophon-Sound) und Prinz Sandor Boris von Sylvarien (ungarischer Csárdás und Wiener Walzer,
verkörpert vom Zigeunerprimas auf der Bühne) prallen musikalisch effektvoll aufeinander. Anfangs scheinen die Gegensätze unvereinbar zu sein, denn beide Seiten weigern sich standhaft, die musikalischen und tänzerischen
Vorlieben des Anderen zu akzeptieren. Doch gerade dieses Konfliktpotential wird von Kálmán genutzt, um dramatische Steigerungen und kontrastierende Stile in seiner typischen Art kompositorisch umzusetzen. Traditionelle, kálmánsche Kantilenen, süsser Streicherklang und feurige Csárdás wechseln ab mit schmissigem Foxtrott und Charleston. Auch im Orchester macht sich die Modernisierung bemerkbar, Saxophon, Klavier, Celesta und Schlagwerk erweitern farbig den
traditionellen Klang. Dabei darf das Publikum selbst entscheiden, welche musikalische Seite es favorisiert. Die traditionelle, melodiöse, walzerselige, fast ans reaktionäre grenzende Welt von Prinz Sándor oder die schillernde, pulsierende, swingende, moderne von Mary Lloyd und ihrer Gefolgschaft? Entscheiden Sie selbst!

Oder besser noch, geniessen sie gleichermassen die kontrastierende musikalische Vielfalt. Denn die beiden musikalischen Gegenspieler werden sich im Verlauf des Abends nicht nur musikalisch näher kommen – soviel sei verraten!

Und so wurde das Werk von der Wiener Presse aufgenommen:(Kritik von Ernst Decsey, Neues Wiener Tagblatt, 6. April 1928)
Nur Kálmán konnte dieses Kálmán-Buch komponieren (...) Er kann Wienerisch, Amerikanisch, Walzerisch, Charlestonisch, er kann Zerfliessen, und Elegie, kann Schmiss, Tumult und Melancholie und kann schliesslich seine Muttersprache: Ungarisch. Für ihn bildet Zwei- oder Dreivierteltakt keine Frage mehr, er kennt die Dosierungen und Mischungen des Parfüms, die Demagogie der Zigeunergeige wie die des Saxophons (...) Es ist echter Kálmán, der mit einer Träne in der Stimme sagt: «Wiener Musi, konntest einst die Welt betören», und echter Kálmán, der mit gespitzter Pfeiflippe anstimmt: «In Chicago, wissen Sie, was sich da tut?»