Der Schwarze Hecht
Er ist in Begleitung seiner Gattin, der charmanten Zirkusprinzessin Iduna. Diese bezaubert sogleich die anwesenden Herren, während die Damen in Entrüstung erstarren. Anna allerdings, Oberholzers Tochter, wird gefangen vom Zauber des Zirkus und lauscht gebannt Idunas bald schwärmerischen, bald melancholischen Schilderungen ("O mein Papa"). Plötzlich sieht Anna sich selbst als Zuschauerin in der Manege und lässt ihren Fantasien freien Lauf: Da werden aus den schrulligen Onkeln tollpatschige Clowns und aus den erbosten Tanten fauchende Raubkatzen. Das alles währt aber nur kurz und Anna wird von der Realität wieder eingeholt. Die Geburtstagsfeier im Hause Oberholzer nimmt ihren Fortgang. Obolski und Iduna erkennen den unvereinbaren Gegensatz von Künstlertum und Oberschicht und ziehen weiter. Auch Anna begreift, dass sie doch nicht für die Zirkuswelt geschaffen ist und ihr Lebensglück vielmehr bei Gärtner Robert finden wird.
- Di04. Januar 2022
- 19:30
- 120 Min
- 15 Min
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1. Akt
Im Hause des wohlhabenden Industriellen Albert Oberholzer steht ein grossen Fest an: Das Familienoberhaupt feiert seinen fünfzigsten Geburtstag und lädt die Verwandtschaft zum viel gerühmten Hechtschmaus ein. Ehefrau Karline und Tochter Anna sind mit den letzten Vorbereitungen fürs Bankett beschäftigt. Köchin Kati bringt die Torte ("Lied der Köchin"), Gärtner Robert, der heimlich, aber doch nicht ganz unbemerkt mit Anna verbandelt ist, die Blumen. Auch das von Anna eigens komponierte Geburtstagsständchen will nochmals geübt sein. Doch die Hauptprobe wird ständig unterbrochen, denn nach und nach treffen die Gäste ein. Das sind zunächst die Brüder des Jubilars mit ihren Gemahlinnen, namentlich Fritz, der als Überraschung mit einem Feuerwerk im Gepäck aufwartet, sowie der ewigkranke Gustav und der noble Bankier Heinrich. Damit ist die Runde komplett. Nach den artigen Glückwünschen wird getafelt und das Ständchen soll endlich zu Ende gesungen werden. Da platzt zum Entsetzen aller das "Enfant terrible" der Familie, Oberholzers unerwünschter Bruder, Zirkusdirektor Alexander, genannt Obolski, herein. Er ist in Begleitung seiner Frau, der charmanten Artistin Iduna. Diese erobert im Nu die Herzen der männlichen Familienmitglieder ("Das Lied vom Pony") und sie tut das ganz zum Missfallen der weiblichen Gäste. Obolski erzählt von seinen Abenteuern und Iduna gerät in melancholisches Schwärmen, wenn sie von ihrem Vater, einem berühmten Clown, spricht ("O mein Papa"). Nesthäkchen Anna ist fasziniert vom aufregenden Zirkustreiben, die standesbewusste Verwandtschaft hingegen vor den Kopf gestossen. Im Trubel zündet das Feuerwerk. Grosses Geschrei!
2. Akt
Anna träumt vom schillernden Treiben in der Manege und lässt sich auch von Gärtner Robert nicht umstimmen. Einzig bei Obolski findet sie Verständnis, der ihr die Vorzüge des Artistenlebens vor Augen führt. Dabei verwandelt sich die häusliche Szenerie in einen Zirkus. Auf einmal werden aus den schrulligen Onkeln tollpatschige Clowns, aus den keifenden Tanten fauchende Raubkatzen. Dann tritt Köchin Kati als Seiltänzerin auf und Iduna mit ihrem Pony. Und in der Kuppel schaukelt Anna auf dem Trapez. Doch die Imagination währt nur kurz. Bald wird das Geschehen von der Realität wieder eingeholt, denn Robert will seine Liebste nicht einfach so mit Obolskis Zirkustruppe ziehen lassen. Noch ist Anna hin und her gerissen.
3. Akt
Die Geburtstagsfeier im Hause Oberholzer nimmt ihren Fortgang. Iduna gesteht Anna, dass der Scheinwerferglanz auch seine Schattenseiten berge, die Liaison mit Lebemann Obolski gar nicht einfach sei und sie sich von ihm durchaus etwas mehr Beständigkeit wünsche ("Er ist mein Mann"). Nach wie vor wird die Zirkusprinzessin von den anwesenden Herren umgarnt, was die sitzengelassenen Damen mittlerweile sehr erzürnt. Es kommt zum Tumult. Die beiden Artisten erkennen die verfahrene Situation: Künstler- und Bürgertum seien zwei Welten, die nie zusammenkommen werden, meint Obolski und verabschiedet sich mit Iduna ("Unser Gastspiel ist zu Ende"). Anna zögert, ihnen zu folgen, und entscheidet sich schliesslich gegen das Zirkusleben. Dafür hat der angeheiterte Onkel Gustav genug von seiner Rolle als ewiger Pantoffelheld und eilt den beiden Künstlern nach. Verärgert und in aller Hast bricht die Verwandtschaft auf. Dann endlich legt sich die Aufregung. Kati kommt aus der Küche mit dem im Ofen längst verbrannten, ganz schwarz gewordenen Fisch und der Hausherr erteilt seiner Tochter den Segen zur Verlobung mit Robert. Alle erheben die Gläser und stossen auf das junge Glück an.
DER SCHWARZE HECHT erlangte seine Popularität in Etappen, weshalb sich die Rezeptionsgeschichte des Stücks besonders spannend liest. Noch in Berlin sich aufhaltend, suchte Paul Burkhard nach einem packenden Operettenstoff. Dabei erinnerte er sich an die Dialektkomödie DE SÄCHZGISCHT GIBURTSTAG des Zürcher Theaterautors Emil Sautter, die er als 14-jähriger zum ersten Mal gesehen hatte. Die Inszenierung erfuhr damals zwar eine wenig befriedigende Aufnahme. Trotzdem war Burkhard vor allem von jener Szene beeindruckt, in der die junge Zirkusprinzessin den älteren Herren von ihrem Vater, dem bewunderten Zirkusclown, vorschwärmt, diese aber nur Augen für die attraktive Artistin haben. Aus diesem bewusst doppeldeutig angelegten und damit auch parodistischen Spiel im Gegenüber von Künstlerleben und Establishment formte der Komponist die Idee für ein eigenes Werk. So entstand 1938 in Zusammenarbeit mit dem jungen Librettisten Jürg Amstein in kurzer Zeit die gewissermassen erste Fassung des SCHWARZEN HECHTS. Zur Uraufführung kam das Stück Anfang April 1939 im Schauspielhaus Zürich: Burkhard leitete das kleine Revueorchester und seine Schwester Lisa, eine ausgebildete Schauspielerin, übernahm die Rolle der Karline Oberholzer. Die Pressestimmen waren insgesamt lobend, sie würdigten Musik und Regie. Einzig die Dramaturgie der Handlung, konzipiert noch als Einakter mit einer Traumszene als Epilog, überzeugte nicht vollends. Das Werk verschwand vorerst in der Schublade.
Über neun Jahre dauerte es bis zu einer Wiederaufnahme am Schauspielhaus und dem Premierenabend Mitte November 1948. Nun jedoch schlug die Komödie richtig ein. "Burkhard hat das Stück recht eigentlich ‹durchkomponiert›: die zahlreichen, kabarettistisch pointierten Chansons, von denen einige wahre Bijoux der musikalischen Kleinkunst sind, stehen nicht mehr losgelöst als einzelne Nummern inmitten eines gesprochenen Dialogs, sondern auch dieser wird sozusagen durchgehend von den Darstellern gesungen", schrieb der "Tages-Anzeiger" begeistert. Burkhard und Amstein hatten den SCHWARZEN HECHT zu einem schlüssigen Dreiakter umgebaut, der Komponist die Orchesterpartitur für zwei Klavier arrangiert. Bald nahmen die Stadttheater von Basel, Luzern, Bern und St. Gallen das Stück ins Programm auf und Radio Zürich strahlte es als Hörspiel aus.
Grosses bahnte sich an, als der legendäre deutsche Revue- und Filmregisseur Erik Charell auf den SCHWARZEN HECHT aufmerksam wurde und diesen in seinem Heimatland auf die Bühne bringen wollte. Dafür wurde die Komödie erneut gründlich überarbeitet und zur Übertragung der Mundartlieder ins Deutsche der erfahrene Textdichter Robert Gilbert hinzugezogen. Ein voll besetztes Orchester sorgte für die musikalische Umsetzung und viel szenischer Aufwand für die Theaterwirkung. Auf die feinen sprachlichen und darstellerischen Nuancen der Vorlage wurde verzichtet, etwa auf die Pointe mit dem verbrannten Fisch. Stattdessen zündete Charell im Stück als Geburtstagsüberraschung für den Protagonisten ein Feuerwerk und betitelte seine Inszenierung auch gleich so: DAS FEUERWERK kam Mitte Mai 1950 im Münchner Theater am Gärtnerplatz zur Erstaufführung. Eine Fülle an Regieeinfällen und Theatergags prasselte auf das Publikum ein, was die Münchner "Abendzeitung" mit den treffenden Worten kommentierte, dass sich "der Hecht zum Walfisch" gewandelt habe, die "duftigen, musikantisch höchst reizvollen Melodien Paul Burkhards" aber geblieben seien. Dank Charell setzte sich das Stück binnen kurzem auf den deutschen Bühnen durch (inklusive der Verfilmung 1954 mit Lilli Palmer und der noch ganz jungen Romy Schneider) und mit ihm das Titellied "O mein Papa". Lys Assia gelang mit dem eigentlich innigen Chanson ein Schlagererfolg, was wiederum der Sängerin selbst zum Karrieredurchbruch verhalf. Burkhards Musik wurde international: In über vierzig Sprachen wurde "O mein Papa" übersetzt, wovon dem Komponisten vor allem die französische Adaption besonders zusagte. Der britische Trompeter Eddie Calvert schuf mit seiner Version einen Hit in England und der amerikanische Sänger Eddie Fisher machte den Schlager schliesslich sogar in den Vereinigten Staaten populär. Im Winter 1954 reiste Burkhard deshalb per Schiff nach New York und war beeindruckt vom dortigen Rummel um seine Person.
In der aktuellen Inszenierung hier in Sursee, wo DER SCHWARZE HECHT bereits 1962 und 1982 gegeben wurde, bedienen sich die Macher eines findigen dramaturgischen Kniffs: Sie übertragen die zweifellos bühnenwirksamere deutsche FEUERWERK-Fassung zurück ins Schweizerdeutsche, ergänzt mit musikalischen und inhaltlichen Einfällen aus der ursprünglichen Komposition. Damit wandelt sich DER SCHWARZE HECHT zum veritablen Operettenstück mit viel Gesang und grossem Orchester.
Diese Beiträge wurden über den schwarzen Hecht publiziert:
Die beiden musikalischen Komödien DER SCHWARZE HECHT und DIE KLEINE NIEDERDORFOPER sind immer noch ein Begriff und mit ihnen der Schöpfer dieser Werke: Paul Burkhard. Nicht nur an den traditionsreichen Zürcher Bühnen stehen sie regelmässig auf dem Programm. Und in Erinnerung an den Komponisten anlässlich dessen 100. Geburtstages 2011 gab die Schweizerische Post eine Sonderbriefmarke heraus; zugleich wurde in Burkhards Wahlheimat Zell im Zürcher Oberland ein Themenweg eingerichtet. Mit Ausnahme der eingangs genannten Stücke ist das übrige Œuvre, genauer gesagt das weitere Operetten- und Bühnenmusikschaffen sowie die wenigen Orchester-, Chor- und Kammermusikwerke, indessen in Vergessenheit geraten. Das mag im Werdegang des Komponisten begründet sein: Burkhard gehörte zur letzten Generation fest angestellter Theaterkapellmeister (von 1939‑1944 am renommierten Zürcher Schauspielhaus), die Operetten- und Schauspielmusik gleichsam für den täglichen Bedarf komponierten. Zunehmend verlagerte sich zudem in jener Zeit die Produktion insbesondere der Unterhaltungsmusik von der Bühne in die elektronischen Medien (Burkhard leitete von 1945‑1957 das Radio-Orchester Beromünster). Burkhard sah sich als Komponist von "leichter" wie "ernster" Musik nun gleichermassen isoliert, was ein wesentlicher Grund für seine Abkehr vom öffentlichen Leben und der verstärkten Hinwendung zur geistlichen Vokalmusik war. Er übersiedelte von Zürich ins ländliche Zell, wo er 1960 das Kinder-Oratorium D’ZÄLLER WIEHNACHT schuf, ein Krippenspiel, das ebenfalls grosse Verbreitung fand. Über hundert Werke umfasst Burkhards gesamtes Schaffen. Eines der letzten ist bezeichnenderweise das Instrumentalstück SIEBEN STUFEN DES LEBENS, eine deutlich in sich gekehrte Musik für Klarinette, Harfe und Orgel. Der Komponist starb nach längerer schwerer Krankheit am 6. September 1977 in Zell.
Burkhards musikalische Begabung wurde früh erkannt und gefördert. Geboren am 21. Dezember 1911 im Zürcher Seefeldquartier, versuchte sich der junge Paul schon als Siebenjähriger in ersten Kompositionen. Nach der Matura 1930 und dem Abschluss zwei Jahre später am Konservatorium in der Klavierklasse von Emil Frey folgte gleich ein festes Engagement als Korrepetitor und Kapellmeister am Stadttheater Bern. Zurück in Zürich konnte er Mitte der 1930er-Jahre mit seinen ersten beiden Operetten HOPSA und 3x GEORGES gleich grösseres Aufsehen erreichen. Der Aufenthalt darauf in Berlin fiel aufgrund der aufkommenden politischen Unruhen nur kurz aus und Burkhard trat die Theaterstelle in Zürich an. Es entstanden 1939 sein Lokalstück DER SCHWARZE HECHT, mit dessen hochdeutschen Bearbeitung er elf Jahre später weit über die Schweizer Grenzen hinaus bekannt werden sollte, und 1951 der Kassenschlager DIE KLEINE NIEDERDORFOPER. Ein ähnlicher Erfolg war ihm 1959 noch mit der Musik zu Friedrich Dürrenmatts Komödie FRANK DER FÜNFTE vergönnt.
Der als Person eher unscheinbar wirkende Burkhard wurde für seine kompositorische Arbeit gefeiert. Ebenso galt er als ausgezeichneter Musiker und Dirigent. Sein Auftreten war umgänglich und geduldig, freundschaftlich und gewinnend. Er sei ein "charmanter Meister der kleinen Dinge", würdigte ihn einst der Komponistenkollege Hans Schaeuble. Doch die Festlegung von Burkhards Kunst allein auf die heitere Muse hatte ihrerseits auch etwas Kränkendes. Und so blieb Burkhard bei aller Anerkennung nicht nur wegen seiner persönlichen Biografie letztlich ein Aussenseiter.