Historisches
1800 - 1810
Zu einem scheinbar ungünstigen Zeitpunkt wurde Ende 1800 zwei Dutzend Bürger die «Theater- und Freundschaftsgesellschaft» ins Leben gerufen, nach der Überlieferung am 14. Dezember. Das ist insofern richtig, als an dieser Versammlung die Satzungen der neuen Gesellschaft verabschiedet und die entsprechenden Beamtungen gewählt wurden. Wochen vorher aber hatte ein engeres Team an ausgewählten Persönlichkeiten in Sursee einen Brief versandt mit der Einladung zum Beitritt und den Hinweisen zu dieser zu gründenden Gesellschaft: «Schon lange war es der Wunsch einiger wohldenkender, ein Band der Freundschaft unter mehreren anzuknüpfen, um dann mit vereinigten Kräften desto werkthätiger Freude und Wohlsein in hiesiger Gemeinde befördern zu können. Leste Theatervorstellung wärmte diesen Wunsche abermal auf und giebt die Veranlassung, um selben in Erfüllung zu bringen. Die Absicht dieser Gesellschaft von auserlesenen Freunden ist und soll nichts anders seÿn, als Liebe und Harmonie unter den Gliedern selbst, dann Wohltätigkeit gegen arme Mitbürger und endlich den erschlafften Eÿfer unter der in den Schuhlen befindlichen Jugend zu befördern». Diese Ziele könnten am besten im Rahmen einer Theatergesellschaft, in der alle Mitglieder tatkräftig mitwirken würden, erreicht werden. Damit würden auch die Schauspiele künftig in eine bessere Ordnung, dem Publikum wohlgefälliger und der finanzielle Ertrag ergiebiger werden. Dabei muss man wissen, dass der finanzielle Misserfolg vorgängiger Theateraufführungen auf der in der Kornschütte des Klosters Muri eingerichteten Bühne ebenfalls zur Gründung der Gesellschaft führte, denn es könne, so vermerkt das Protokoll, auf keine andere Weise die auf dem Theater haftende Schuld von 73 Gulden getilgt werden, als dass jedes Mitglied dieser neuen Gesellschaft sich schriftlich zur Einzahlung von 4 Gulden verpflichten würde. Diesen Betrag gedenke man aber nach der nächsten Vorstellung wieder zurückzuzahlen.
23 Männer, wovon 21 aus Sursee und zwei aus Luzern, sind diesem Aufruf gefolgt und zu Gründungsmitgliedern der «Theater- und Freundschaftsgesellschaft Sursee» geworden. Bereits am 7. Dezember 1800 fand die erste Sitzung der Theatergesellschaft statt und innert zehn Jahren wuchs die Gesellschaft auf 38 Mitglieder an, was zu einer Limitierung der Mitglieder auf 40 Anlass bot.
Als erster Präsident wurde Vierherr Anton Hunkeler, als Sekretär Franz Ägidius Rusconi und als Weibel Kommissar Georg Josef Schnyder gewählt. Eine Kommission aus fünf Männern hatte unter dem Präsidium von Anton Hunkeler die Satzungen sowie weitere Grundlagen vorzubereiten. An der zweiten Versammlung vom 14. Dezember 1800 nahmen die Anwesenden von den Satzungen Kenntnis, beschlossen über die Besetzung weiterer Ämter wie Zahlmeister, erster und zweiter Saalinspektor, Theater- und Dekorationsdirektor, Aufseher der Musik und des Orchesters, Aufseher über die Theaterkleidung, Bekanntmacher und Promulgator der Schauspiele und Musik sowie Bibliothekar.
Aufgaben wichtiger Ämter:
- «Der Theater- und Dekorationsdirektor besorgt:
– während der Comedie die gute Ordnung auf der Bühne sowie als Hauptaufgaben die Einrichtung, die Verschönerung und die Beleuchtung. - Dem Aufseher der Musik und des Orchesters obliegen:
– Besorgung der Musikalien;
– Anschaffung von Instrumenten und Bestellung der nötigen Musikanten;
– Ansetzen der nötigen Anzahl Proben, um der nötigen Präzision willen und um das Gehör des Auditoriums nicht zu beleidigen.
– Falls Proben nicht nur an Feiertagen, sondern auch an Abenden von Werktagen bzw. zu nächtlicher Stunde nötig sind, sollen die dazu anzuschaffenden Lichter aus der Theaterkasse besorgt werden.
– Bei besserem Zustand der Kasse wird die Gesellschaft mit ihm verabreden und eine Verordnung festsetzen, wann, wo und wie oft öffentliche Musik gegeben, um Freude und Vergnügen unter den Mitgliedern zu verbreiten. - Der Bekanntmacher der Schauspiele und Musik sorgt dafür:
– dass alle Schauspiele überall bekannt gemacht werden.
– Bei Aufführung eines Theaterstücks an Sonn- oder Feiertagen soll er den Leutpriester im Namen der Gesellschaft bitten, beim Gottesdienst zu verkünden, dass die Vesper nachmittag bereits um ein Uhr gehalten werde. - Die Pflichten des Bibliothekars.
§1 Die Bücher und Schriften in die verschiedenen Gebiete einzuteilen, ein vollständiges Verzeichnis zu führen, mit Vermerk des Formats, Druckorts und Jahres, Anzahl Teile, Bände und Gattung des Einbands.
§2 Da die Entstehung dieser Lesebibliothek der freundschaftlichen Darleihe – von verschiedenen Büchern und Schriften – einiger freÿmüthiger Gesellschafts Glieder zu verdanken ist, so soll er dem Eigentherm ein(en) Schein seines Darleihens ausstellen.
§3 Er soll keiner Person, die nicht Mitglied unserer Gesellschaft ist, ein Buch oder Schrift ausleihen.
§4 … Ausleihe höchstens acht Tage
§8 Alle irreligiösen und sittenverderbenden Bücher oder Schriften sollen in der Büchersammlung keinen Platz haben.»
Vordergründig war die neu gegründete «Theater- und Musikliebhabergesellschaft Sursee» nichts anderes als eine Gesellschaft von «Freunden» zum Zweck des Theaterspiels und der Aufführung geselliger Musik. Warum aber wurden die ersten Gesellschaftsmitglieder offensichtlich angefeindet und hatten gegen «dummes Vorurteil» zu kämpfen? Warum gab es in der ersten Zeit einen Bibliothekar, der über eine in ihrer Grösse und Beschaffenheit unbekannte Bibliothek mit ausleihbaren Büchern und wohl auch Zeitschriften zu wachen hatte – Bücher und Zeitschriften, die keineswegs nur Theaterliteratur umfassten? So stellt sich die Frage, wessen Geistes Kind diese erste Gesellschaft modernen Zuschnitts in Sursee war. Eine vorläufige Antwort gibt das Protokoll zur Versammlung vom 24. September 1803. Dort steht an unscheinbarer Stelle: «... wurde auf Ansuchen Herr Joseph Meyer, Uhrenmacher von hier in unsere Theater-, Musik- und Lese-Gesellschaft aufgenommen, gegen Erlegung 4 Gl. ins Sekelamt.»
Es war den ersten Mitgliedern offensichtlich bewusst, dass es sich hier um eine Gesellschaft handelte, deren Ziele über Theater und Musik hinausgingen. Das wird bereits im Einladungsschreiben vor der Gründung deutlich. Man spricht darin davon, dass die neue Gesellschaft eine Gesellschaft von auserlesenen Freunden sei und nichts anderes wolle «als Liebe und Harmonie unter der Gliedern selbst, dann Wohlthätigkeit gegen arme Mitbürger und endlich den erschlafften Eÿfer unter der in den Schuhlen befindlichen Jugend zu befö[r]dern.» Das sind Worte und Begriffe, die zur Gründung verschiedenster, in die Zeit der Aufklärung gehörender Gesellschaften passen könnten. Zweifellos darf man die Gründung der Theater-, Musik- und Lesegesellschaft im Jahre 1800 als sehr spätes oder verspätetes Kind der Spätaufklärung in der Schweiz bezeichnen. Auch wenn in Sursee vor 1798 keine Gründung einer Lese- oder einer anderen Reformgesellschaft nachweisbar ist, lag hier nicht ganz Brachland. Man kannte auch in der Kleinstadt Sursee zweifellos die 1862 gegründete und zeitweise im Staat Luzern verfemte «Helvetische Gesellschaft». So waren der Stadtschreiber und Arzt Dr. Blasius Attenhofer und Heinrich Ludwig Schnyder von Wartensee, Ratsherr und 1796/97 Schultheiss, Mitglieder dieser Gesellschaft. Aber auch weitere Vertreter aus der Familie Schnyder von Wartensee haben Ende der Achtziger- und zu Beginn der Neunzigerjahre an Jahresversammlungen in Olten und Aarau als Gäste teilgenommen. Zweifellos waren auch die in Bern oder Zürich existierenden Ökonomischen Gesellschaften und solche, die eher gemeinnützigen Charakter hatten, oder eben Lesegesellschaften wie etwa jene in Luzern oder Langenthal ebenfalls bekannt. Vor allem wusste man um die auf Reform des Militärwesens bedachte und die oberste Offiziersschicht umfassende «Helvetisch-militärische Gesellschaft», welche in den Jahren 1781 bis 1787 in der grossen Ratsstube des spätgotischen Rathauses ihre Jahresversammlung abhielt und die ganze Altstadt in einen farbenfrohen und von prächtigen Uniformen dominierten Glanz hob.